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der erste tag der chemo.

übelkeit, müdigkeit, verdammt dünne nerven, launisch, grantig, weinen und ständig die kloschüssel fest umarmt.

zum ersten mal hab ich das gefühl wirklich körperlich krank zu sein.
zum ersten mal fühle ich mich richtig krank. todkrank.

eigenartig so die seiten zu wechseln. gestern noch weißkittel , heute patientin. vom helfer zum hilfesuchenden. und das so schnell. irgendwie geht mir alles zu schnell.

oder
mein leben mit der band

musik - lauter als ich sie eigentlich ertrag
gespräche - tiefgehender als ich es eigentlich haben will
menschen - zuviel um sie wirklich alle wahrzunehmen
stimmen - zuviele durcheinander als dass man die wortfetzen wirklich sinnvoll zuordnen könnte
gedanken - viel zu wirr
lachen - viel zu laut
gesten - viel zu wild
mimik - kaum zu deuten
alkohol - zuviel, einfach viel zuviel
gesichter - masken, die nie zu bröckeln scheinen
freunde - niemals sicher ob sie echt sind
komplimente - ehrlich? berechnend?

leben - immer am limit, mit voller wucht!

eine zeit, viel zu intensiv um sie von einem tag auf den anderen abschütteln zu können.

nachwirkungen - gedanken - träume ... und so viele eindrücke!
war ich wirklich dort? mit dabei? mitten drin?
war das wirklich ich? war das das wahre ICH? wer verdammt nochmal bin ich?
was ist wahr?

wahr ist, dass ich diese kurze zeit auch genossen habe, dieses leben, ständig am sprung, immer auf dem weg zwischen irgendwo und nirgendwo, überdreht. sie ist jetzt vorbei, diese zeit und ich bin wieder da.

um das alles zu verarbeiten brauch ich aber noch ein wenig zeit. zeit, die ich aber nicht habe ... den normalität scheint bei mir zur zeit nicht einkehren zu wollen. so nehm ich diese vielen eindrücke und gefühle mit, reihe sie in meinem kopf zu den vielen anderen gefühlen, bei denen es mir so schwerfällt sie einzuordnen, zu verarbeiten.

wenn ich mir das so überleg, scheine ich wirklich ein ablageproblem zu haben. und das nicht nur auf meinem schreibtisch.

diese leere in mir ist seit gestern noch schlimmer geworden.
war ja auch klar. was hab ich mir denn eigentlich erwartet?
dabei war ich mir so sicher das richtige zu tun. ich war mir so sicher dass es das einzig vernünftige ist.
und was jetzt?
jetzt fühle ich mich schlecht. die frage ist nur, warum ich mich schlecht fühle ... wegen ihm? wegen mir?
und ist die angst jetzt kleiner?
nein. die angst es nicht zu schaffen ist nicht kleiner.
nein, die angst vor dem was kommt ist auch nicht kleiner geworden.
nein, die angst ihn zu verlieren ist so groß wie noch nie.

nur eine angst ist beinahe nicht mehr da. die, dass ich jemanden zur last falle.
das war es doch, was ich wollte! ich will doch, dass ich das alleine durchsteh.
warum nur fühl ich mich dann so schlecht? damn!

manchmal ist es nur wichtig im arm gehalten zu werden und am ende in den armen des anderen einzuschlafen. egal, wer dieser andere ist.

nur heute nicht alleine sein
nur neute das alles nicht alleine durchstehen müssen
nur heute ... bitte nur heute

langsam aber sicher kommt die energie wieder zurück. und es macht sich der wunsch breit wieder alles zu ordnen.
ein rundgang durch die wohnung macht mir klar, dass dieser ordnungswille wohl schon längere zeit nicht mehr vorhanden war. zu meiner entschuldigung kann ich zumindest vorbringen dass diese wohnung in der letzten zeit hoch frequentiert wurde. bis gestern haben hier drei menschen und ein hund gewohnt. jetzt bin ich wieder alleine und will, dass auch alles wieder an seinem platz ist.
die küche ist schnell erledigt.
im bad finden sich noch ein paar utensilien, die nicht mir gehören. wegräumen bring ich nicht übers herz. immerhin ist es irgendwie beruhigend wenigstens seine zahnbürste und sein after shave noch stehen zu sehen. irgendwie eine garantie dafür dass er wiederkommt? die vernunft sagt mir, dass so eine zahnbürste nicht teuer ist und er wohl nicht so besonders an ihr hängen wird. doch ausnahmsweise schalte ich die vernunft aus.
das wohnzimmer, es ist wohl die meiste arbeit. da findet sich ein buch, dort noch eine cd und unter dem tisch hat sich doch glatt das quietscheentchen vom hund versteckt.
am schlimmsten schaut aber mein schreibtisch aus. oh mann, da stapeln sich rechnungen, mahnungen, unmengen von cd's, schmierzetteln, lehrbüchern, ausdrucken. meine ablage hat wohl schon etwas länger nicht mehr funkioniert. fotos vom letzten konzert - so hab ich ihn seither nicht mehr lächeln sehen. liegt das an mir?
und am ende - alles abgelegt. alles an seinem platz.

wär doch toll, wenn es mit den gefühlen und gedanken auch so funktionieren würde.

beinahe zwei jahre sind vergangen. kein tag vergeht, an dem ich nicht daran denke.

es war ein tag, wie jeder andere. er begann für mich mit dem letzten kaffee auf der station bevor ich mich nach dem nachtdienst auf den heimweg machen wollte. ich war gut drauf. die nacht war ruhig und ich hatte mit der stationsschwester die gelegenheit den sonnenaufgang auf dem krankenhausdach zu verfolgen. ein schöner start in den tag. in den ersten von drei freien tagen die wir gemeinsam haben sollten.
dann zuerst der stau. im radio hörte ich von einem unfall und davon, dass der rettungshubschrauber landen sollte. ein kurzer moment des überlegens - nein, ich wäre an der unfallstelle sicher keine hilfe, müde wie ich war. - trotzdem unruhe. die zeit verging nicht. ein blick zum himmel. - nein, der rettungshubschrauber kam auch noch nicht. dann stieg ich aus. eine zigarette angezündet, neben dem auto auf und abgewandert, gefröstelt. noch immer kein rettungshubschrauber in sicht. die unruhe wurde größer. obwohl ich das gar nicht bewusst wahrnahm, machte ich mich auf den weg richtung unfallstelle. der wagen, der dort in den baum gefahren war, sich beinahe um den stamm gewickelt hat, kam mir bekannt vor. auf einmal erkannte ich es. es war doch der traumfänger, der am rückspiegel hing, den ich damals auf dem markt in mexico city gekauft hatte. wie betäubt ging ich weiter, immer näher zu den sanitätern und dem notarzt. die feuerwehrmänner versuchten mich aufzuhalten. ich weiß heute nicht mehr, wie ich es schaffte zwischen ihnen durchzukommen, doch irgendwie schaffte ich es.
und dann stand ich vor dem regungslosen körper. keine verletzungen. ich kniete mich neben ihn, redete mit ihm, bat ihn die augen zu öffnen, aufzustehen und mit mir zu meinem auto zu gehen. doch das passierte natürlich nicht.
auf einmal war meine kollegin neben mir. sie redete auf mich ein, nahm mich bei den schultern und zog mich von ihm weg. ich ließ es geschehen, ging gemeinsam mit ihr zum rettungsauto. dort erklärte sie mir, dass es keine rettung mehr gab. ich hörte gar nicht richtig zu. was sollte das? keine rettung? da war doch nicht einmal ein kratzer, kein blauer fleck, keine wunde, nichts! ständig warf ich einen blick auf ihn, erwartete, dass er sich aufrappelt, zu uns herüberkommt, sein strahlendstes lächeln auf den lippen. natürlich passierte nichts dergleichen.
wie ich dann nach hause kam, weiß ich nicht mehr. begriffen hatte ich da noch immer nichts. es roch nach frischem kaffee, aufgebackenes gebäck lag auf dem tisch und die aufgefaltete tageszeitung. ich setzte mich an meinen platz, wartete darauf dass er die haustüre aufsperrt, hereinkommt und mir erklärt dass das alles nur ein böser traum war.

seit diesem tag hat sich mein leben verändert. das haus, unser haus ist verkauft. die erinnerungen sind in kisten verstaut und wenn ich sie sehe wundere ich mich dass ein ganzes menschenleben in drei metallkisten platz findet. oft war ich am ende und genauso oft hab ich wieder beschlossen weiterzumachen. ich hab gekämpft. ich hab mich treiben lassen. ich war orientierungslos und hab dann doch wieder ein ziel gefunden.
manchmal hab ich angst ihn zu vergessen, weil die erinnerungen immer mehr verblassen. wie hörte sich sein lachen an? sein herrlicher akzent, wie ging der genau? wie roch er denn? verzweifelt versuche ich mir jedes detail in erinnerung zu rufen. das gelingt nicht und schon gar nicht, wenn man sich dazu zwingen will.
manchmal aber kommen die erinnerungen ganz von alleine wieder. und dann ist sie wieder ganz nah, seine stimme, sein lachen, sein akzent, seine augen, sein geruch. das sind gleichzeitig die schönsten und schmerzlichsten momente seit dem er nicht mehr da ist.

du hast mich nachts gefragt, was du mir bist.
eine wirklich gute frage und sie hat mich den rest der nacht wach gehalten. die antwort bin ich dir bis jetzt schuldig geblieben.

wenn du neben mir liegst, mich mit deinen armen umschlingst, dann fühle ich mich wohl, geborgen und das sind wohl die einzigen momente in denen ich mir sicher bin, dass alles gut wird.
wenn jedoch der morgen kommt, die realität genau wie die sonne ihren weg durch die dunkle nacht sucht, ich deine ängstlichen augen sehe, deine überforderung, dann bist du mir alles andere als eine hilfe.
wenn du deine gitarre zur hand nimmst, dich neben mich setzt, einfach darauf herumklimperst so lange, bis eine neue medlodie entsteht, du vor dich hinsummst, alles um dich herum vergisst, dann höre und sehe ich dir so gern zu, weil du ruhe ausstrahlst. ruhe und gelassenheit, die ich am liebsten in mich einsaugen möchte weil ich sie brauche, gerade jetzt.
wenn du aus dem zimmer gehst, weil du nicht sehen kannst oder magst wenn der arzt kommt, dann fühle ich mich alleine.
wenn du mich fragst, was du denn nur tun sollst, dann verzweifle ich fast. frag doch nicht lange! tu einfach. egal was. tu nur etwas.
wenn ich stark sein soll für uns beide, dann schaffe ich das nicht. ich muss kämpfen, für mich. aber für dich, für UNS bleibt da nicht mehr besonders viel kraft übrig und ich fühl mich ausgelaugt.

manchmal bin ich erleichtert wenn du fährst.
manchmal ist es wichtig für mich diesen kampf ganz alleine durchzustehen.
manchmal bin ich stark, vielleicht auch stark genug für uns beide.
manchmal wünschte ich du würdest bleiben, auch dann wenn ich dir sage, du sollst gehen.
manchmal fühle ich mich so einsam, auch wenn du neben mir sitzt und meine hand in deiner hast.
manchmal wünschte ich, ich könnte endlich von dir lassen, dich gehen lassen, dich vergessen, dich sein lassen, ohne dich sein.

und manchmal bist du alles, was zählt!

 

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